Monday, April 23, 2012

Endzeit

Das Phänomen Lana Del Rey ist Symptom und Ausdruck historischer Veränderungen. Die Qualität ist weniger in der Erfüllung bereits bewährter Qualitätsstandards als vielmehr in der Nichterfüllung sicher geglaubter Wahrheiten zu suchen.

Es sind amtliche, eingängige und trotzdem nicht sofort langweilig werdende Popsongs, die Lana Del Rey vorführt. Alles ist einwandfrei produziert. Dazu hat sie hat eine wunderbar volle und facettenreiche Stimme. Das sind alles gute Voraussetzungen für eine Karriere als Sängerin. Doch das eigentlich Interessante an ihr ist ihre audiovisuelle Gesamterscheinung und die Friktionen, die diese erzeugt. Das ist sicherlich etwas, was eigentlich für alle Popphänomene gilt, für Lana Del Rey aber im Besonderen.

Im Grunde ist es eine latente Kaputtheit, beim gleichzeitigen Versuch der Verleugnung derselben, die Lana Del Rey zu einem wirklich interessanten zeitgenössischen Phänomen machen; eine immer durchscheinende, in ihre Musik und in ihren Körper eingeschriebene Ahnung und Angst, das Ende der Zeit könne bereits unabwendbar sein. Trotzdem wird Optimismus verbreitet.

Es geht hier nicht darum, Lana Del Rey als Person zu bewerten, sondern darum, ein allgemeines Moment der Gegenwart zu erfassen. Kaputtheit erscheint an der Oberfläche als Zustand einer sich im Verfall befindlichen Welt, physische und psychische Zerbrochenheit und Unbehagen wird zum natürlichen, zum authentischen Ausgangspunkt von Kunst und Unterhaltung. Post-Kyoto, Post-Lehman-Brothers überlebt der Optimismus nur noch als Farce.

Der augenscheinlich nur mäßig geglückte Versuch, sich mittels plastischer Chirurgie in eine verführerische Frau aus einer vergangenen, nie einholbaren Zeit zu verwandeln, ist eine Facette. Der Lehrsatz, ein kaputtoperiertes Gesicht stehe am Ende einer Popstarkarriere, hat sich überholt, in einer Welt und Wirklichkeit, die einen Star wie Lana Del Rey erzeugt. Lana Del Rey leitet ihre Karriere mit einem kaputtoperierten Gesicht ein. Der Gedanke, sie mache dort weiter, wo Michael Jackson sein tödliches Ende gefunden habe, ist wahrscheinlich nicht richtig, aber auch nicht ganz falsch.

Lana Del Rey hat es weder erreicht, eine wirklich schöne, noch eine wirklich verführerische Frau zu werden. Dass dies trotzdem ständig behauptet wird, gründet in einer breiten Unfähigkeit und dem breiten Unwillen, Zeitzeichen, die einen selber betreffen könnten, zu deuten und zu begreifen. Die Welt, in der wir leben, ist näher am Abgrund, als wir wahrhaben wollen.

Reflektiert man ein bisschen historisch, dann erscheint Lana Del Rey als Sinnbild des Scheiterns der Welt. Im Video von 'Born to Die' zeigt sich dies exemplarisch: die 'heißen' Küsse auf aufgespritzte Lippen sind falsch, die modischen Gesichtstattoos und Earplugs des männlichen Darstellers sind im Grunde nur peinlich, die immer wieder misslingenden Posen und Versuche der Darstellung von Leidenschaft, zeugen schmerzhaft von der Unfähigkeit, das zu produzieren, was als authentischer Ausdruck, was als Natur noch wahrgenommen werden kann.

Das gleiche gilt für die Ebene der Liedtexte. An der Oberfläche bedient und idealisiert Lana Del Rey alte Geschlechter- und Beziehungsbilder von echten Kerlen oder Männern und einer unterwürfig liebenden, dienenden, sich verzehrenden Frau.

Doch die Befürchtungen kritischer Geister, es drohe hier Regression oder Rückschritt, überschätzt sowohl die Kraft dieser Bilder als auch den Zustand der Welt. Ebensowenig Lana Del Rey in der Lage ist, ihre visuellen Selbstbilder Wirklichkeit werden zu lassen, sind die mit ihren Liedtexten verbundenen Bilder wirklich verwirklichbar, wirklich stark genug, den Verfall der Welt noch in Regression umzuwandeln. Es sind einfach nur Bilder.

Der Zugriff auf historische und zeitgenössische Posen ist mehr oder weniger erratisch. Die Idee, sie könnten einen Rückschritt in die Vergangenheit einläuten, ist absurd. Sie sind vielmehr selbst das Symptom eines Verfalls in der Gegenwart, sie deuten weniger in die Vergangenheit, als vielmehr in eine ungewisse Zukunft. Man muss nur genau hinsehen und hinhören, um die grenzenlose Leere dieser Bilder zu erfahren. Das scheinbare Klammern an die Vergangenheit ist ein hoffnungsloser Griff ins Leere.

Der Begriff 'Retromania', den der britische Pophistoriker Simon Reynolds in dem gleichnamigen Buch aus dem letzten Jahr bestimmt hat, beschreibt das Phänomen nur teilweise. Bei Lana Del Rey ist der Aspekt der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der für Reynolds zentral ist, eindeutig untergeordnet. Es geht weniger um die ästhetische Wertschätzung der Vergangenheit und der Geschichte, als vielmehr um Überlebens- und Selbstbehauptungsstrategien in der Gegenwart. Die historische Pose ist Instrument zur Erzeugung von Coolness, von Wert in der Gegenwart. Lana Del Rey ist eine weltliche Entsprechung der sich religiös radikalisierenden Jugend anderer Regionen und Lebenswelten. Ob die Bibel, der Koran, der wirtschaftliche und kulturelle Aufschwung der 50er Jahre oder Hip Hop die Referenz ist, ist letztlich nicht entscheidend.

Es ist der Griff ins Leere, in dem eine Art Wahrheit, eine Art Authentizität aufscheint, es ist der hoffnungslose Optimismus einer Zeit, in der selbst der Fortbestand der Welt unsicher wird. Nach der Postmoderne wird in genau diesem Paradox der nackte Überlebenswille zum letzten zentralen Moment, zur letzten Wahrheit. 

P.S.: Ausgehend von dem Begriff kaputtoperiert und einer Googlesuche haben mich die Auslassungen von chakunah_2072 in dem Forum Dirty Pictures zu dem Begriff Kaputtheit inspiriert.

Sunday, April 1, 2012

Sopranos reflektiert

Der deutsche Literat und Kritiker Diedrich Diederichsen hat einen Essay zur US-amerikanische Fernsehserie »The Sopranos« geschrieben, der als kleines Buch kürzlich bei dem Züricher Verlag Diaphanes im Rahmen einer neuen Buchreihe zu Fernsehserien erschienen ist. In insgesamt vier Kapiteln werden einerseits film- und musikhistorische sowie popkulturelle Referenzen entschlüsselt, andererseits werden kleinere, mitunter erhellende Analysen angestellt. Diese beschäftigen sich sowohl mit den Erzähltechniken, den Charakteren und inhärenten psychologischen Spannungen und Konflikten als auch mit der Zuschauerposition.

Der Text bietet keinesfalls eine umfassende Analyse der Serie, er läuft auch nicht auf klar umrissene Thesen hinaus, es handelt sich vielmehr um einen assoziativen und fragmentarischen Bericht einer spezifisch deutschen Sichtweise auf die wohl einflussreichste US-amerikanische Serie der letzten 20 Jahre.


Trotz vieler interessanter Beobachtungen bleibt Diederichsens Essay über weite Strecken an der Oberfläche. Allzuoft, wenn es interessant zu werden droht, flüchtet er sich in Plattitüden, die eine Auseinandersetzung nur vortäuschen.

Stellvertretend soll dieser Umstand daran verdeutlicht werden, wie Diederichsen die Zuschauer der Serie generalisiert und modelliert.

In der größten zusammenhängenden Argumentation des Textes unternimmt er den Versuch, kategorisch einen gebildeten und reflexiven Zugang zur Serie von naiv empirischen Zugängen abzutrennen, wobei er ersteren für sich in Anspruch nimmt. Dabei verfängt er sich in der Konstruktion einer in die Serie eingebauten reflexiven Außenposition und verkennt so den dramatischen Kern der Serie: die psychophysische Existenz des Hauptprotagonisten Tony Soprano, die eigenartig zwischen Gewissenlosigkeit und Reflexion oszilliert und die in ihrer Rastlosigkeit und latenten Fragmentierung brillant von James Gandolfini dargestellt wird.

»The Sopranos« ist eine Art Gangsterdrama, wobei die Emphase auf dem Drama liegt, die Gangstergeschichte fungiert gleichermaßen als Hintergrund des Dramas. Die Serie wurde in sechs Staffeln, in sechsundachtzig Episoden von dem New Yorker Bezahlfernsehsender HBO unter der Leitung des Drehbuchschreibers und Regisseurs David Chase produziert und von 1999 bis 2007 erstausgestrahlt. Die Handlung spielt jeweils in der Gegenwart in der Gegend um Newark, New Jersey und dreht sich trotz einer Vielzahl von Charakteren und Handlungsräumen im Kern um das Leben einer Person, um die Selbstbehauptung des italo-amerikanischen Gangsters Tony Soprano als De-facto-Boss der dort ansässigen DiMeo-/Soprano-Mafiafamilie.

Weil Tony Sopranos unter immer wiederkehrenden Panikattacken leidet, die in seiner Selbstwahrnehmung seine Führungsfähigkeit bedrohen, begibt er sich in der ersten Episode in eine ambulante Therapie bei der Psychologin Dr. Jennifer Melfi. Die therapeutische, teilweise aber auch über das Therapeutische hinausgehende Beziehung zwischen Tony Soprano und Dr. Melfi durchzieht, abgesehen von kurzen Unterbrechungen, die gesamte Serie.


In dem ganzen Essay stellt Diederichsen immer wieder heraus, dass er nicht bereit, dass er zu distanziert und reflektiert ist, um sich mit den mehr oder minder kriminellen, auf jeden Fall aber von Doppelmoral geprägten und verlogenen Hauptprotagonisten der Serie zu identifizieren. Dass die Serie trotzdem auch bei einem gebildeten und bürgerlichen Publikum auf Interesse stieß, zu dem Diederichsen sich selber zählt, erklärt er so, dass die entsprechende Zuschauerposition sich mit der Position Dr. Melfis in der Serie identifiziert.
»Melfi ist [...] durch ihren Job, ihre strategische Position als mit Schweigeverbot ausgestattete, professionell neugierige, nicht involvierte Zuschauerin ideal für einen quasi-neutralen Zugang, für die Rationalisierung unseres Zuschauens, unserer Neugier, unseres Interesses, unserer Sucht, mehr sehen zu wollen. [...] Doktor Melfi ist süchtig nach der nächsten DVD, die ihr in Form von Tonys Erzählungen mitgebracht wird.«
Doch diese Konstruktion einer relativen Außenposition geht nicht auf, schaut man sich die konkrete Konstruktion der Protagonistin in der Erzählung an.

Tony Soprano nennt in den wiederkehrenden Therapiesitzungen nie die Namen beteiligter Mafiosi, er bekennt sich nie explizit zu kriminellen Aktivitäten, er umschreibt diese allenfalls mehr oder weniger euphemistisch.

Am Ende der fünften Staffel muss er nach der Policy der Mafia eigentlich einen engen Freund umbringen, ist sich aber unsicher, ob er wirklich zur Tat übergehen soll. In einer Sitzung deutet er diffus eine große Verwirrung bezüglich seines Freundes an. Dr. Melfi, die sich des Ausmaßes der Lage überhaupt nicht bewusst ist, hält ihm Sentimentalität und implizit Handlungsunfähigkeit aufgrund von Schuld- und Schamgefühlen vor, woraufhin er zur Tat überschreitet.

Über weite Strecken hat Dr. Melfi, offensichtlich auch mehr oder weniger selbstverschuldet, keine Ahnung von Tony Sopranos konkreten Situationen und Konflikten, die seine kriminellen Aktivitäten betreffen. Erst ganz am Ende der Serie realisiert sie, angestoßen durch ihren eigenen Therapeuten, dass sie ihren Patienten nicht zum Positiven hin verändern kann. Sie beginnt zu vermuten, dass die Therapie ihm bei der Selbstrechtfertigung seiner eigenen kriminellen Handlungen hilft, woraufhin sich ihre Aufmerksamkeit und so ihre Wahrnehmung der Persönlichkeit Tony Sopranos grundlegend verändert. Im neuen Bewusstsein, es schon immer mit einem unveränderlich soziopathischen und bösartigen Charakter zu tun gehabt zu haben, bricht sie die therapeutische Beziehung nach nur kurzer Zeit ab.

Möglicherweise entwickelt Dr. Melfi aus welchen Gründen auch immer eine Sucht nach den Sitzungen mit Tony Soprano, sie kann aber nicht »süchtig nach der nächsten DVD« sein, da Tony Soprano ihr zentrale Aspekte der DVDs vorenthält. Sie erscheint in der Erzählung in erster Linie nicht als Zuschauerin, sondern als Aspekt in Tony Sopranos Leben. Anders als andere Hauptprotagonisten wie Christopher Moltisanti, Adriana La Cerva etc. entwickelt Dr. Melfi nie autonome Ziele und abgesehen von einer kurzen Episode in der dritten Staffel auch kaum ein eigenständiges Schicksal. Dramaturgisch wird ihr Charakter nur in Abhängigkeit von Tony Sopranos Schicksal relevant. Die Ausschnitte aus ihrem Privatleben und aus den Sitzungen mit ihrem eigenen Therapeuten haben immer einen unmittelbaren Bezug auf ihre Beziehung zu Tony Soprano.


Der dramaturgische Kern der Geschichte ist nicht die therapeutische Beziehung Dr. Melfis zu ihrem Patienten, sondern die Selbstbehauptung der filmisch vermittelten psychophysischen Existenz Tony Sopranos. Die Kamera ist immer ganz nah bei Tony Soprano, egal was als Geschichte darum herum passiert. Es ist eigentlich ganz einfach und gerade deshalb spannend. Die psychophysische Existenz Tony Sopranos ist das zentrale Identifikationsarrangement, vom Vorspann bis zum letzten Shot der Serie, mit ihr lebt und stirbt der Zuschauer.

Anders als Diederichsen es darstellt, ist die reflexive Distanz, die der gebildete Zuschauer braucht, nicht primär in der Beziehung zwischen Tony Soprano und Jennifer Melfi aufgehoben, sondern sie ist genuin in den Charakter des Hauptprotagonisten eingebaut. Tony Sopranos Selbst ist die Verkörperung des der reflexiven Distanz mächtigen bürgerlichen Individuums. Dafür spricht einerseits, dass er sich trotz aller Vorbehalte zur Selbstoptimierung in den reflexiven Prozess einer psychotherapeutische Behandlung begibt, andererseits das sowohl einer bürgerlich individualistischen Ideologie als auch dem Codex eines Mafiabosses entsprechende Selbstverständnis und der damit verbundene Wille, die Wirklichkeit nach subjektiven Inhalten zu gestalten, zu bestimmen, zu regieren.

Die Tatsache, dass Tony Soprano über eine nur rudimentäre Bildung verfügt, was Diederichsen immer wieder herausstellt, tut zumal unter Bedingungen postmoderner Unübersichtlichkeit seinem Subjektstatus keinen Abbruch. Niemand weiß mehr alles. Es ist nicht mehr die kanonisch kulturelle Bildung, die das bürgerliche Subjekt ausmacht, es sind spezifische Denk- und Verhaltensweisen, eine spezifisch reflexive Selbstbezogenheit und ein spezifischer Wille zur Konstruktion – und diese beherrscht und verkörpert Tony Soprano perfekt. Hierin liegt die Anschlussfähigkeit der Serie an ein bürgerliches Publikum. Man will zwar normalerweise nicht Teil der Mafia sein, was kann man dort schon erreichen, außer ungesunden Stress oder gar einen frühen Tod, aber ein Mafiaboss, der aus subjektiven Inhalten ein Gemeinwesen, also die Mafiafamilie, und eine Wirklichkeit, also die ganze räumliche Umgebung, bestimmt, das ist schon etwas, womit man sich identifizieren kann.

Nicht nur aus ökonomischen Gründen hat Tonys Tochter Meadow wenig Schwierigkeiten, sich souverän in akademischen Umfeldern als Studentin an der Columbia University, als Volontärin in einer Rechtsberatung für Bedürftige oder als Angehörige in einem Krankenhaus zu bewegen. Das Verhältnis zwischen Tony Sopranos impliziten Erziehungsmethoden in der häuslichen Welt, die ohne Gewalt auskommen, und seinen kriminellen und geschäftlichen Aktivitäten, die hochgradig von Machtwillen und Gewalt geprägt sind, entspricht dem Verhältnis der Innen- und der Außenwelt des bürgerlichen Subjekts, das in seiner Innenwelt immer um Autonomie bemüht ist, um sich in der Außenwelt besser durchsetzen und selbstverwirklichen zu können.

Diederichsens Essay ist nicht der Text, den man sich von einem renommierten Schreiber zu der Serie erhofft hätte, für Liebhaber der Serie, die gleichzeitig Liebhaber kultur- und sozialtheoretischer Betrachtungen sind, ist er allemal zu empfehlen.


Diedrich Diederichsen: »The Sopranos«. Diaphanes, Zürich 2012. 112 Seiten, € 10,00 / CHF 12,50.